Grüne Einkaufsratschläge und schlechtes Gewissen – Was ›Konsumkritik‹ ist und warum sie scheitern muss

Ein Nachbericht der Initiative Kritische Nachhaltigkeit in Theorie und Praxis

Veranstaltungsplakat zum 6. November 2022

Dimitra Kostimpas eröffnete am 6. November 2022 unsere Veranstaltungsreihe mit dem Vortrag „Grüne Einkaufsratschläge und schlechtes Gewissen – Was ›Konsumkritik‹ ist und warum sie scheitern muss“. Kostimpas promoviert an der LMU zur Aidshilfebewegung, greift für diesen Vortrag aber vornehmlich auf ihre Vorträge und Debattenbeiträge aus ihrer Zeit bei der Grünen Jugend zurück. Der vieldiskutierte Streitpunkt damals: Welche Rolle spielt eigentlich individueller Konsum bei der sozial-ökologischen Wende? Und wenngleich sich in aktivistischen Kreisen eine Verschiebung der Problemanalyse vollzogen hat, spielt der Punkt für viele Menschen im Alltag unvermindert eine große Rolle. Scheint sich doch hier eine Möglichkeit zu ergeben, dem eigenen Ohnmachtsgefühl zu entkommen. Aber wieviel Substanz hat die Ansicht, die sozial-ökologische Wende sei durch unseren individuellen Konsum herbeiführbar? Und was wäre eigentlich notwendig? Zeit also, sich kritisch mit dem Thema zu befassen!

Kostimpas sieht hinter dem Schlagwort des grünen Konsums die Vereinnahmung ökologischer und sozialer Kritiken in einem sich wandelnden Kapitalismus. Damit dient Konsumkritik letztlich der Aufrechterhaltung kapitalistischer Verwertungslogik, dem Warencharakter, der Konsumideologie und Klassenherrschaft.

Aber beginnen wir zunächst bei der Unterscheidung zweier Hauptströmungen, die sich durchaus auch überschneiden können. Konsumkritik wird einerseits im Kontext des eigenen Lebensstils praktiziert, als ein ständig reflektiertes Handeln durch das eine Einheit von Alltag und ethischen Prinzipien entsteht.  Andererseits wird Konsumkritik aber auch in einem politischen Sinne vertreten, mit dem Ziel Konsument*innen aufzuklären und ihre Kaufentscheidung als machtvolle Wahlentscheidung zu verstehen. „Umweltkatastrophen, Ausbeutung, Tierleid und Klimakrise kannst Du beenden, wenn Du richtig einkaufst“, so der Tenor.

Der Ursprung der Konsumkritik ist in der Ökologiebewegung der 1970er Jahre zu suchen. In Konflikt mit der staatlichen Ordnung formulierte diese grundsätzliche Kritik an einer an Wachstum ausgerichteten Gesellschaft. Neben radikalen Politikformen wurden vielfältige Strategien verfolgt, unter anderem auch die Ökoladenbewegung, die sich an den Forderungen nach Autonomie und Authentizität orientierte. Diese zentralen Forderungen der sozialen Bewegungen in den 70er und 80er Jahren wurden oftmals durch die Schaffung von alternativen, gegenkulturellen und selbstorganisierten Strukturen und Räumen umgesetzt. Auch den Mitgliederladen ÖkoEsel sieht Kostimpas in dieser Tradition. Die Authentizitätsforderung konnte jedoch die Industrie aufnehmen und so ein Marktsegment von gutverdienenden Kund*innen, denen Qualität und natürliche Herkunft wichtig ist, erschließen. Nachweissiegel entstanden, bei Produkten und Marken wurde die natürliche Herkunft und der regionale Bezug betont. Und auch die Forderungen nach Emanzipation, Autonomie und Selbstverwirklichung wurde in der Weise aufgenommen. Ein immer breiteres Warenspektrum ermöglicht Individualisierung und freie Entfaltung auf Konsumebene.

Dimitra Kostimpas lacht, während Christian Rehbein sich, ebenfalls lachend, Notizen macht.
Foto: Anni Reeh

So wurden vormals radikale Forderungen in Teilen durch neoliberales Umschreiben in den sich wandelnden neuen Geist des Kapitalismus (Boltanski & Chiapello) aufgenommen und in Wert gesetzt. Die neue, uns als Marktsubjekte ansprechende Erzählung: Über kritischen, bewussten Konsum wird gesellschaftlicher Wandel möglich.

Diese Entwicklung vollzog sich innerhalb eines erstarkenden Neoliberalismus. Deregulierung und Privatisierung forcierten in allen Bereichen die Verantwortungsverlagerung von der Ebene des Staates und der der Gesellschaft auf die Ebene des Individuums. Der von Stephan Lessenich geprägte Begriff der Aktivierungsgesellschaft ist auch im Kontext der vermeintlichen Macht der Konsument*innen relevant. Nicht nur wurde nämlich dem Individuum die Möglichkeit zugesprochen, durch Konsum gesellschaftliche Veränderung zu bewirken. Vielmehr wurde auch grundsätzlich zur Verantwortungsübernahme aufgerufen. Die einzelnen Personen hätten zum Wohle der Allgemeinheit zu handeln und eben auch zu konsumieren. Das Subjekt wird hier zur Verantwortungsübernahme für Klimakrise, Umweltkatastrophen und Ausbeutung, die sich aus gegenwärtigen Produktionsprozessen ergeben, angerufen.

Damit ergibt sich jedoch eine ganze Reihe von Problemen: Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass die Verantwortungsanforderung, entgegen dem Schein, letztlich nicht erfüllbar ist. Auch handelt es sich dabei um eine nicht abschließbare Aufgabe. Wir können uns immer noch besser informieren und noch kritischer konsumieren. Daraus resultiert ein dauerhaft schlechtes Gewissen, welches am Ende nur in Depression enden kann. Ein weiteres Problem liegt in der Tatsache, dass Konsumkritik Ausschlüsse anhand von Klasse produziert. Schließlich kann sich längst nicht jede*r leisten, an der ökologischen Wende durch das Einkaufsverhalten teilzunehmen. Gleichzeitig wird so Ungleichheit entlang von Klassen auch legitimiert. Der nachhaltige Konsum eignet sich trefflich zur Abgrenzung und Aufwertung gegenüber Anderen. Das Elektroauto, die ökologische Jeans, der Biokäse – Zeichen unseres Platzes im sozialen System. Doch die Abwertung des „niederen, vulgären“ Geschmacks erscheint völlig unangebracht, wenn wir bedenken, dass gerade die Besserverdienenden den weitaus größeren ökologischen Fußabdruck haben, als jene Menschen, die wir mit dem Einkauf bei Primark und Co. in Verbindung bringen.

Konsumkritik ist, wie Kostimpas feststellt, eigentlich Teil dessen, was sie glaubt zu kritisieren, sie ist letztlich Konsumideologie. Denn Konsum erfüllt im Kapitalismus die herrschaftsstabilisierende Funktion, die Massen in das System einzuschließen (Greß).

Kostimpas spricht mit nachdenklichem Blick.
Foto: Anni Reeh

Konsumkritik entsteht aus dem Bedürfnis nach einer harmonischen, konfliktfreien Welt, in der man sich zurücklehnen kann, nachdem man mit dem richtigen Konsum seinen Teil getan hat. So werden jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse aufrechterhalten und wichtige Widersprüche verdeckt. Zum Ersten steht das kapitalistische Wirtschaftssystem im Widerspruch zu den planetaren Grenzen. Schließlich ist es existenziell auf die immer weiter steigende Aneignung von Natur angewiesen, die Natur kann sich aber längst nicht in dieser Geschwindigkeit regenerieren. Und zum Zweiten ist der Widerspruch zwischen Zentrum und Peripherie hochrelevant. Die ökologischen Kosten werden gegenwärtig primär von Orten getragen, die nicht Auslöser der Krise sind.

Noch einmal auf den Punkt gebracht: Konsumkritik ist Vereinnahmung, Vereinzelung, Distinktion und Verschleierung. Und am Ende kann im Prinzip alles so bleiben, wie es ist. Doch angesichts der multiplen Krise muss klar festgestellt werden: Es darf nicht alles so bleiben, wie es ist!

Aber was nun? Sollen wir uns beispielsweise zurücklehnen und uns einem zynischen Hedonismus hingeben? Durchaus ist das eine Option, aber wohl letztlich auch nur eine Art von Verdrängung. Es braucht keine Konsumkritik, wie wir gesehen haben, sehr wohl aber Kritik! Kritik an der Konsumideologie, die ideologiekritisch ist und gesellschaftliche Zusammenhänge sieht, die mit der Einsicht einhergeht, dass wir Lebensweisen nicht unabhängig von Produktionsweisen verändern können.

Daraus sollte nun jedoch nicht abgeleitet werden, dass Lebensweisen, die zum Beispiel das SUV-Fahren beinhalten, nicht kritisiert werden können und sollen. Kritik der Lebensformen ist sehr wohl legitim und notwendig, aber nicht im Sinne einer Ethik des guten Lebens, sondern im Sinne eines gelingenden Lebens (Jaeggi). Gemeint ist damit eine rationale Bearbeitung von Krisen und ihrer sozialen Bedingtheit, allerdings ohne Sittlichkeitsvorstellungen. Kritik sollte so geäußert werden, dass Lebensformen weiterhin pluralistisch sein können und gleichzeitig aber auch Lernprozesse stattfinden können, wie beispielsweise die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderung des Alltags aufgrund der begrenzten planetaren Ressourcen.  

Die Frage ist ja am Ende nicht ob, sondern wie sich unser Alltag verändern wird, stellt Kostimpas mit Verweis auf die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse fest. Passen wir uns einer sich weiter brutalisierenden Gesellschaft an? Versuchen wir uns abzuschotten und selbst zu überleben? Oder schaffen wir es, den gewaltvollen negativen Krisen zuvorzukommen? Letzteres kann aber nicht im Modus einer Vereinzelungsstrategie geschehen, nicht im Modus eines „Kaufe ein und alles wird besser!“, sondern in einem Modus, durch den wir die Art und Weise, wie wir in Beziehung zueinander treten verändern.

Das Foto zeigt Dimitra Kostimpas und Christian Rehbein, beide blicken gut gelaunt in den Zuschauerbereich. Rehbein äußert sich zu einem Diskussionsbeitrag.
Foto: Anni Reeh

Mit diesem Plädoyer schließt Dimitra Kostimpas ihren Vortrag.

In angenehmer Atmosphäre wurde im Anschluss eine publikumsoffene Diskussion geführt. Dabei ging es um die Frage, welche Rolle die kleinen Initiativen und Projekte bei der dringend notwendigen sozial-ökologischen Transformation spielen können, wie übertragbar Konzepte wie das Mietshäusersyndikat oder die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen auf andere Kontexte sind und viele viele weitere Themen.

Und immer steht natürlich die Frage im Raum: Was können wir nun konkret tun? Eine einfache Antwort auf diese Frage bleibt wohl auch bei der zweiten Veranstaltung unserer Reihe aus. Dennoch klingt zumindest eine Notwendigkeit bereits im Titel an. Wir freuen uns auf Euch, wenn es am Dienstag, dem 6. Dezember 2022, in einem Vortrag von Moritz Zeiler mit anschließender Diskussion heißt: „Über den notwendigen Bruch mit einer kapitalistischen Logik“.


6. Dezember 2022, 19-21.30 Uhr, Ort: Schwere Reiter

Über den notwendigen Bruch mit einer kapitalistischen Logik

Moritz Zeiler (Historiker und Autor) 

Mit dem zweiten Vortrag der Veranstaltungsreihe wollen wir die Widersprüche des bestehenden Wirtschaftssystems verdeutlichen und die Frage aufwerfen, ob dieses überhaupt mit einer tatsächlichen Nachhaltigkeit verbunden werden kann.